Dieser Post ist Teil der Serie „Alltagsschnipsel”. Diese basiert auf der „21 days of writing journey” von Mike Dooley aka. the Universe talks und bei der jeden Tag ein neues Stichwort zum Nachdenken und Schreiben einlädt. Tag 10: „Erzähle, wie du noch tiefer in den Raum deiner Stille vordringen kannst.”
Me-Time als eine Form der Selbstfürsorge.
Ich nenne es „Me-Time”. Früher hatte ich dafür keinen Namen, heute muss ich es niemandem groß erklären. Me-Time ist ein Begriff, den in meinem Umfeld jeder versteht. Es ist die Zeit, die man sich für sich selbst nimmt, um die Batterien wieder aufzuladen, die Gedanken zu sortieren, die Seele baumeln zu lassen … die Zeit, in der man nur tut, wozu man Lust hat. Nichts MUSS. Mit niemandem sprechen, außer mit sich selbst, sich um niemanden kümmern, außer um sich selbst. Self-Care, Selbstfürsorge.
Heute hat (fast) jede/r den/die ich kenne, eine eigene Form der Self-Care. Diese nimmt im Leben der jeweiligen Person oft einen fast heiligen Stellenwert ein. Sei es Yoga, Meditation, Journalling, Spazierengehen, ein Digital Detox, eine Auszeit in einem Retreat … Ich glaube, wir leben in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der, trotz des Leistungsdrucks, auch ein wachsendes Bewusstsein dafür existiert, dass es wichtig ist, sich um sich selbst zu kümmern. Tatsächlich wird uns das ja fast schon vehement nahegelegt. Jede zweite Postkarte im Home Deco- und Geschenke-Shop jubelt uns ein „I love myself” entgegen … diejenigen, die das nicht beherzigen und feiern, ernten schnell mal schräge Blicke.
Doch um diese Form der Selbstliebe geht es mir nicht. Mir geht es um das wirkliche Lauschen nach Innen, das mit dem Bedürfnis einhergeht, sich selbst auf den Grund zu gehen und wirklich kennenzulernen um sich dann – vielleicht – in sich selbst zu verlieben. Denn um sich selbst zu lieben, muss man sich ja erstmal selbst kennen. Und wie will man das, wenn man sich selbst nicht zuhört?
Von der Sehnsucht.
Ich hatte dieses Bedürfnis schon lange bevor ich es benennen konnte. Schon als Kind bin ich manchmal stundenlang mit dem Fahrrad herumgefahren, ohne Ziel. Ich wollte allein sein. Das war wichtig, damit ich mich selbst spüren und meine eigenen Gedanken überhaupt hören konnte. Ich habe nämlich ziemlich feine Antennen und nehme die Schwingungen anderer Menschen sehr leicht auf. Manchmal fühle ich mich regelrecht permeabel, durchlässig und muss mich abgrenzen, um bei mir selbst zu bleiben. Das ist zwar auch heute noch manchmal so, aber ich habe es besser im Griff.
Wenn ich mit meinem Fahrrad durch die Gegend fuhr, den Fahrtwind im Haar – das liebe ich übrigens noch heute über alles – konnte ich mich ganz meinen Gedanken und meinen Gefühlen hingeben. Ein sehr starkes Gefühl war eine Art Sehnsucht, von der ich überhaupt nicht wusste, wonach sie sich eigentlich sehnte. Sie manifestierte sich durch ein diffuses Ziehen in meiner Brust und erfüllt mich mit einer wohligen Melancholie und einem Gefühl der Freiheit. Denn sie war auch wie ein Ruf der weiten Welt, als wüsste ich, dass ich noch mal ganz woanders landen würde.
Von der Kunst des Abgrenzens.
Zuhause wurde es mir nämlich manchmal etwas eng. Ich bin in einem Elternhaus voller Liebe und Nestwärme aufgewachsen, doch es war bei uns nicht üblich, die Türen zu schließen. Das änderte sich erst, als meine große Schwester in die Pubertät kam. Wenn ich doch mal meine Zimmertür zumachte, hatte ich gleich das Gefühl, dass ich etwas „Unrechtes” tat und Signale aussandte, dass etwas nicht in Ordnung sei. Also tat ich es nicht.
Heute würde ich einfach ganz frei heraus kommunizieren, dass ich einfach mal etwas Zeit und Ruhe für mich brauche. Ist doch nichts dabei. Damals fehlten mir dafür die Worte und ich habe erst spät gelernt, mich auf gesunde Weise abzugrenzen. Auf eine Weise, die niemanden „rausschneiden” will, sondern bei der es um reine Selbstfürsorge geht. Wobei ich mich gerade frage, was eigentlich so schlimm daran wäre, die eigenen Grenzen auch mal schroff zu ziehen. Scheiß doch auf dieses bescheuerte Bedürfnis, es immer allen recht machen zu wollen! Es ist unausweichlich, dass man im Leben auch Menschen verletzt. Man muss es ja nicht mit Vorsatz tun, aber vermeiden lässt es sich nicht.
Auch als „junge Erwachsene” hatte ich noch Schwierigkeiten mit der Abgrenzung. Eigentlich meine ganzen 20er hindurch bis in die frühen 30er. Mein Frühwarnsystem funktionierte noch nicht so gut, bzw. ich hab ihm nicht zugehört. Stattdessen habe ich mich so lange allem und allen ausgesetzt, ohne mir den Raum zu nehmen, in meine eigene Stille zu horchen, bis ich hart an der Grenze surfte oder auch schon drüber hinaus geschossen war. Erst dann habe ich mich, gern mal urplötzlich und für meine Mitmenschen völlig unerwartet, zurückgezogen und das auch nicht so gelungen kommuniziert. Das hatte definitiv etwas von Abschotten und Wegschieben. Naja … You live, you learn … 😉
Ein Rendezvous mit der eigenen Stille.
Heute kann ich mir den Raum nehmen, den ich brauche, ohne andere Menschen wegzuschieben oder zurückzuweisen. Es gelingt mir – mit Freunden, Familie und Partner –, auch im Rückzug in der Verbindung zu bleiben. Wenn ich dies denn möchte.
Wenn ich heute Me-Time einfordere oder mir nehme, dann geschieht dies meistens schon, bevor ich sie wirklich brauche. Einfach, weil ich weiss, dass sie mir gut tut und weil ich es auch genieße, mit mir allein zu sein. Es ist wie ein Rendezvous mit mir selbst. Dann gehe ich mit mir selbst in meiner eigenen Stille spazieren und höre mir selbst zu. Das kann total schön sein und wird nur selten langweilig.
Wenn ich frisch verliebt bin, fällt mir das allerdings nicht immer ganz so leicht. Dann will ich nämlich eigentlich nichts lieber, als die ganze Zeit mit der anderen Person zusammen zu sein, mit ihr zu verschmelzen. Und doch ist es auch oder gerade in diesem Ausnahmezustand – zumindest für mich – absolut wichtig, dass ich mich von Zeit zu Zeit zurückziehe, mein eigenes Ding mache und mich selbst als „eigenen Menschen”, wie ich gern sage, fühle. (Wenn du möchtest, kannst du hier mehr zum Thema „Verbindung” lesen.) Zum Glück ist mein Freund da ähnlich drauf wie ich und so geben wir uns gern und großzügig den Raum, den wir jeder für uns brauchen. Umso schöner ist hinterher das Wiedersehen.

Endlich angekommen.
Diese Sehnsucht, die ich vorhin schon erwähnt habe, hat mich übrigens sehr lange begleitet. Es war eine Sehnsucht, die sich anfühlte, wie ein Sog, ein Ziehen in der Brust. Es war eine Art Hunger nach mehr, als müsste da immer noch mehr sein. Als wäre ich (noch) nicht am für mich richtigen Ort, als riefe mich etwas irgendwo anders hin.
Erst in den letzten Jahren habe ich Menschen kennengelernt, die etwas ganz ähnliches erlebt haben und dieses Gefühl gut kennen, die verständnisvoll nicken, wenn ich ihnen beschreibe, wie es sich anfühlt.
Interessanterweise ist jedoch gerade in den letzten Jahren die Sehnsucht immer schwächer geworden. Ich weiß, das klingt jetzt bestimmt allzu simpel und platt, aber ganz ehrlich: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass ich in den letzten Jahren mehr und mehr zu mir selbst gefunden habe. Durch Meditation, durch die Beschäftigung mit mir selbst, durch das Ablegen von Rollen und Masken, durch den Mut, meinen Ängsten ins Gesicht zu schauen … Ich bin mehr in mir selbst angekommen. Und wer angekommen ist, den zieht es auch nirgendwo anders mehr hin.
Das heißt nicht, dass ich jetzt sesshaft werde. Am freisten fühle ich mich auch heute noch, wenn mir der Wind durch die Haare fährt. Fahrtwind bedeutet für mich Freiheit. Wenn ich meine Gedanken sortieren und mir den Kopf ordentlich durchpusten lassen will, schwinge ich mich auch heute noch auf mein Rad – inzwischen ist es ein megacooles schwarzes Rennrad 🙂 – und fahre los. Oder ich schnappe mir meine Inliner (’cause I’m a 90ies Babe) und drehe ein paar Runden.
À propos Sehnsucht: In der Wohnung meiner Eltern hing früher ein Gedicht von Khalil Gibran an der Wohnungstür, so dass ich es jeden Tag sehen konnte. Heute hängt eine Kopie davon an meinem Kühlschrank.
Der Anfang geht so:
Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Khalil Gibran – „Von Kindern”

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Als kleines Dankeschön gibt es eine geführte Meditation on top 🙂 und dann freue ich mich, von dir zu hören!
